Herr und Frau Biedermüller – by Sabine Fellner (in German)

Eine Ästhetik der Absichtslosigkeit – by Heidemarie Uhl (in German)

Painting Performance: Ferdinand Melichar and the Female Nude in the Landscape – by Ana Magalhães (in English)

Ferdinand Melichar – by Peter Turrini (in German)

ICH IST WIR – by Edgar Honetschläger (in German)

Video: Subcycle – by Ferdinand Melichar (in English)

Herr und Frau Biedermüller

Der Spießer ist bekanntlich ein hypochondrischer Egoist und so trachtet er danach, sich überall feige anzupassen und jede neue Formulierung der Ideen zu verfälschen, indem er sie sich aneignet.
Ödön von Horváth

Der Begriff bieder war bis zum Vormärz tatsächlich ein ehrbarer, ohne Ironie und doppelten Boden – ein biederer Mensch war anständig, ehrlich, ehrbar, moralisch integer. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff bieder mit langweilig, hausbacken und spießig verbunden.

Im Polizeistaat des Vormärz litt die Bevölkerung unter Zensur, Restriktion, Überwachung aber auch unter einem harten Alltag und sozialen Missständen. Die Menschen zogen sich in ihrer Enttäuschung nach der politischen Restauration 1815 in einer fast völligen Abkehr vom öffentlich-politischen Leben zurück, flüchteten in eine behagliche Genussfreudigkeit, in eine “heimelige” Geborgenheit. Die Epoche des Biedermeier rückte das Persönliche, rein private Interessen in den Vordergrund. Ein wichtiges Anliegen wurde die Gestaltung des persönlichen Umfelds und der Freizeit. Man suchte Unterhaltung auf der Landpartie, beim Heurigen, im Prater, in Tanzlokalen, im Kaffeehaus und im Theater. Man suchte Trost und Ablenkung in einer heilen Welt, die bieder und kleingeistig erscheinen mag.

In der Malerei macht sich eine Neigung zum „Beschaulichen“, “Feinen” und “Lieblichen” breit, die idyllische Landschaft, das Blumen- und Früchtestilleben, das Porträt beherrschen die Kunst, unpolitische, unkritische Bildthemen. Im Sinne dieser Grundstimmung etabliert sich eine Bildgattung, das Genrebild, das das Leben zu Hause, harmlose Vergnügungen, einen beschaulichen Alltag schildert. Doch sowohl die Landschafts- als auch die Genremalerei erweisen sich bei genauer Betrachtung als gar nicht so harmlos und unkritisch, sondern als durchaus ambivalent. Die Landschaftsmalerei, die einerseits stille unberührte Winkel schildert, sucht ebenso die wildromantische, abenteuerliche Stimmung, Naturgewalten, Gewitter und Sturm. Die Genremalerei zeigt in ihren beschaulichen Idyllen subversiv, bisweilen mit moralisierendem Unterton immer wieder Dissonanzen und soziales Elend auf.

Gerade diese Ambivalenz hat Ferdinand Melichars Interesse geweckt. Er hat sowohl einen Text als auch eine Bilderserie ganz bewusst mit dem Begriff des Biedermeier verknüpft.

In seinem Text „Biedermüller“ begegnen wir einem mittelalterlichen Paar beim abendlichen Spaziergang durch den Wald. Die Unterhaltung, die das Ehepaar Biedermüller führt, lässt sie blind für die Schönheit des Waldes, den Sonnenschein, die frühabendliche Stimmung, das Vogelgezwitscher. Verbissen wird ein Dialog geführt, der ähnlich wohl schon oft geführt wurde. Thema sind versäumte Chancen, falsche Hoffnungen, Unzulänglichkeiten, gegenseitiges Unverständnis, endlose, sich wiederholende Vorwürfe.

FRAU: Und immer die gleichen Geschichten. Seit hundert Jahren die gleichen Geschichten. Weil du nichts erlebst, weil du nicht lebst. Weil du zu feige und zu depressiv bist deinen faulen Arsch irgendwo hin zu bewegen. Ich kann dein Gequatsche einfach nicht mehr ertragen.

Auf den Vorwurf Herr Biedermüller hätte sich nicht ausreichend um seine Karriere bemüht antwortet dieser lakonisch:

MANN: Vielleicht will ich ja auch gar nicht so dringend erfolgreich sein?

Die Antwort folgt schnell, schonungslos.

FRAU: Ja genau! Du hast das gar nicht nötig, weil auf dich stehen eh alle Frauen. Und du bist ja eh so super. Nur komisch, dass dann der Erwin mit allen Weibern vögelt und nicht du. Aber du willst das ja gar nicht, weil du bist ja so gut. Glaubst du das eigentlich wirklich? Du bist echt ein Trottel, es ist mir mit einem Mal so klar, so klar, es tut zwar weh, aber jetzt weiß ich es dafür endlich. Nur schade, dass ich so viel Zeit mit dir verschwendet habe. Ich habe dir geglaubt, an dich geglaubt und dabei bist du bloß eitel und dumm.

Während Herr und Frau Biedermüller ihr persönliches kleines Ehedrama um Selbstverwirklichung, Selbstbeschau, Selbstverblendung, Selbstermächtigung performen kommt es zu einer überraschenden, unerwarteten Wende. Plötzlich zuerst leise und zögernd aber schnell unausweichlich und drohend werden die beiden mit den Auswirkungen der Weltpolitik konfrontiert. Nur einige Meter entfernt bricht ein endloser Strom von Flüchtlingen in ihre idyllische Waldeinsamkeit ein, kämpfen Menschen um ihr Überleben, um eine neue Existenz.

Zynisch? Vielleicht, in erster Linie entlarvend. Melichar verdeutlicht in seinem kleinen Drama schonungslos wie viel in uns von Herrn und Frau Biedermüller schlummert. Er deckt die Nabelbeschau auf, der wir alle nur zu gerne erliegen, rückt die Verhältnisse wieder zurecht, schreckt uns auf, die wir uns über das kleine, vielleicht aus eigenem Erleben bekannte, Ehedrama belustigen, blind für jene Dramen, die uns wirklich beschäftigen sollten. Er zieht ganz bewusst die Parallele zum so weit entfernt erscheinenden Biedermeier. Auch in uns macht sich ein „Biedermüller“ bemerkbar, mit all dem Kleingeist, der nur die eigene kleine Welt und ihre Dramen wahrnimmt, mit all der Indolenz gegenüber wirklichen menschlichen Tragödien.

Die Serie von Bildern, die in großem und kleinem Format um die Landschaft kreist, lädt zum Träumen ein: dunkle, samtige Wälder mit kleinen Lichtungen, Sonnenstrahlen die auf moosiges Dunkel treffen, geheimnisvolle Schatten, feuchte Kühle, verheißungsvolles Dickicht. Oft erst auf den zweiten Blick, weil verwoben mit ihrer Umgebung, offenbart sich, dass Menschen diese Idylle bewohnen. Sie sind unterwegs in diesen Wäldern und Feldern, allein, zu zweit in seltenen Fällen als Gruppe. Irgendwie stören sie diese Idyllen, die auf den ersten Blick im Betrachter ein Gefühl entspannender Beschaulichkeit und Frieden auslösen, sie bringen Dissonanzen, Spannungen, eine Ahnung von Gefahr.

Wie als unmittelbare Illustration des Textes „Biedermüller“ erscheint ein Bild, das ein Paar beim Waldspaziergang zeigt. Die Frau geht voran, zielgerichtet, man spürt den flotten Schritt, in einiger Entfernung dahinter der Mann, heftig, es scheint nicht ohne Anflug von Verzweiflung gestikulierend, er möchte sich Gehör verschaffen. Sie scheint ihn nicht zu hören, hört nicht zu, dreht ihm den Rücken zu, geht in sich gekehrt weiter. Man spürt die Spannung zwischen den beiden und gleichzeitig ihr getrennt sein. Doch bleiben die beiden Menschen letztendlich klein und unbedeutend in einem mächtigen, unberührten Wald, denn er ist der eigentliche Protagonist des Bildes. Mit offenem, kräftigem Duktus gemalt sind die Bäume übermächtig, aus wildem, dunklem Dickicht emporragend, durchbrochen von der Bläue des Himmels, überzeitlich. Umso lächerlicher erscheint das kleine menschliche Drama in ihrem Schatten.

Melichar zitiert bewusst, spielt mit dem stilistischen und inhaltlichen Repertoire der Kunstgeschichte, lullt den Betrachter in seinen Wäldern ein in allzu bekannte biedermeierliche Geborgenheit, er weiß genau wie er Assoziationen auslösen muss. Souverän spielt er mit Licht und Schatten, Hell und Dunkel. Er weiß aber auch genau, wie er irritiert. Denn es beschleicht einen sofort ein diffuses Unbehagen bei der Betrachtung dieser Wälder, das auf den ersten Blick nicht erklärbar ist. Und dann erkennt man den Kontrast von leicht und schwungvoll gesetzten Pinselstrichen, die er schweren, pastosen Farbpartien entgegensetzt, spürt man Heftigkeit, nahezu Trotz im satten Auftrag der Farbe, nimmt die kontrastreich gesetzten Farbinseln von hellem und fast schwarzem Grün wahr. Irritiert etwa die ungezügelte Spontaneität des Pinselstrichs, der so gar nichts mit der geordneten biedermeierlichen Feinmalerei gemein hat, die man angesichts des Sujets unbewusst erwartet? Ist es die Verlorenheit der oft nur andeutungsweise hingetupften Figuren, die in den mächtigen Wäldern so klein und verloren scheinen? Die Idylle ist plötzlich trügerisch und bleibt dennoch faszinierend in ihrer Ambivalenz.

Und dann eine weitläufige Landschaft, ruhig, mit tiefem Horizont. Der Himmel leicht wolkig, grüne Wiesen gesäumt von schattigen Waldungen. Man beginnt sich innerlich zurückzulehnen, zu entspannen, bis der Blick über ein Band zart hingetupfter Farbpunkte gleitet, das sich horizontal wie duftige Spitze über die gesamte Wiesenfläche zieht, daran hängenbleibt, versucht zu deuten… Und schlagartig begreift man. Es ist ein Menschenstrom, ohne Beginn und ohne Ende, der sich stetig durch diese Landschaft kämpf. Man ist betroffen, automatisch hat man genüsslich begonnen im Anblick der Wiesen zu schwelgen, hat erst auf den zweiten oder dritten Blick die aktuelle Tragödie erkannt, die eigentlich das Bild beherrscht.

Und wieder ist es Ferdinand Melichar gelungen, gleichsam durch die Hintertür, schlagartig wachzurütteln, uns aus beschaulicher Behaglichkeit aufzuscheuchen. Der Schlag trifft umso härter, als er unerwartet im Moment kontemplativer Betrachtung erfolgt und er ist heilsam, rückt ohne Getöse, leise aber sehr bestimmt und unbezwingbar die Dinge wieder zurecht.

Dr. Sabine Fellner
Kuratorin, Wien

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Eine Ästhetik der Absichtslosigkeit – zu den Bildern von Ferdinand Melichar

Ferdinand Melichars Bildern bin ich zu Beginn des zweiten Pandemie-Jahres begegnet. Museen und Galerien hatten geschlossen, der Hunger nach real erlebbarer Kunst konnte wenigstens durch einen Blick von außen in die Ausstellungen der Galerien gemildert werden. In den späten Winterabenden durch den Ersten Bezirk von Galerie zu Galerie zu flanieren war eine der wenigen Erlebnismöglichkeiten in dieser kargen Zeit. Dass einem der Zugang zu den Kunstwerken durch den Lockdown verwehrt war, hat die Aufmerksamkeit für die Objekte, die man in den hell erleuchteten Innenräumen entdecken konnte, noch geschärft.

Das Wald-Bild von Ferdinand Melichar in der Galerie Smolka Contemporary hat mich sofort in den Bann gezogen. Die Beziehung zu einem Kunstwerk, das einen packt, ist schwer in Worte zu fassen. Wenn ich es nachträglich rationalisieren will ist es der Eindruck, hier der Natur unmittelbar zu begegnen, eintauchen zu können, präziser: eintauchen in eine Momentaufnahme dieses Waldes, der so tröstlich zu sein scheint, und ihn mit den Augen und dem Herzen des Künstlers erfahren zu können. Es war dieser Eindruck der Unmittelbarkeit, der mich so berührt hat. In diesem Bild sollte kein offensichtlicher Kunstwille, kein Kunststil zum Ausdruck gebracht werden. Wobei auf rationaler Ebene natürlich klar ist, dass dieser Eindruck von Seiten des Betrachtenden eine Illusion ist, das Ergebnis künstlerischer und theoretischer Positionen und Reflexionen, die sich im Bild manifestieren und gerade diese Vorstellung hervorrufen.

Damit soll nicht gegen den Kunstgestus argumentiert werden, ganz im Gegenteil: als Nicht-Künstlerin habe ich höchsten Respekt für Menschen, die sich für die Kunst und die Kunstwelt entscheiden. Sie müssen in einem Universum von bereits existierenden künstlerischen Ausdrucksformen ihre eigene Sprache, ihre ästhetischen Mittel, ihre Themen und ihren Zugang zur Welt finden. Seit Pierre Bourdieu wissen wir, dass nicht die Kunst den Künstler ausmacht, sondern die Anerkennung im Kunstbetrieb. Wer im Feld der Kunst bestehen will, muss in der Ökonomie der Aufmerksamkeit agieren, seine / ihre ästhetische „Marke“ strategisch auf- und ausbauen. Und das ist weitaus härter als in anderen sozialen Feldern wie etwa der Wissenschaft, aus der ich komme. In der Kunst exponiert man sich mit seinem ganzen Selbst. Wer sich dafür entscheidet, geht ein hohes, auch emotional hohes Risiko ein.

Ferdinand Melichars Bilder scheinen diesen ästhetischen Kunstwillen hinter sich zu lassen, nicht auf Anerkennung in der Kunstwelt abzuzielen. Sie strahlen etwas Nicht-Strategisches, Absichtsloses aus, das vielleicht gerade deswegen umso stärker beeindruckt und bewegt.

Mag. Dr. Heidemarie Uhl
Historikerin, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien

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Painting Performance: Ferdinand Melichar and the Female Nude in the Landscape

Ferdinand Melichar’s new series of paintings deals with the female figure in the landscape, while inverting her role in Western painting tradition, and more precisely in the artist’s references to Viennese Actionist Art. Set into a deep bush or forest, we see a couple that seems to be engaged in sexual activity, sometimes accompanied by a third woman, and in some compositions just suggested by some light brushstrokes in the background of dark surfaces of blue and green depicting the dense mass of plants and trees. In Melichar’s own words, these women are dragging the male figure around the woods, covering it with mud and sometimes squirting blood into its body.

The female figure appears to be at ease in the natural setting, as if it has always belonged into the woods. The male figure is submitted to her wishes and moves. The thick and dense brushstrokes used to render both the figures and the landscape alludes to hard, violent tension. However, the cold, dark colors give the entire compositions a somewhat soothing aspect. There is, thus, an intrinsic relation between matter and representation: the dense, sketchy-like brushstrokes are in perfect harmony to the subject matter depicted, and leads the beholder to share the atmosphere here created. While looking at the whole set of paintings together, we suddenly feel we are part of the representation, as spectators of the scenes taking place in the deep woods. There is no dialogue between the figures, and we can only imagine the low deadly sounds they make. The woods seem to hinder us from getting closer to them, or clearly hearing the damp sounds they produce. Therefore, these compositions create two kinds of space: the one composed my the masses of deep blue and green surfaces rendering the woods, and an intermediate one, from which the spectator is lifted from the real space and is engaged into the paintings composition, while not being entirely in it.

In recent years, Danish director Lars von Trier launched two films where the female figure is depicted in a similar way, as an inherent part of nature – or at least, linked to it in a way as to foresee any change or any great imminent destruction. Both in “Antichrist” (2009) and in “Melancholia” (2011), the central female characters are driven by natural forces, at the same time, threatening, and submitted to another kind of order, i.e., acting beyond reason, science, or culture.

The comparison with von Trier’s films is not only due to the notion of female figure that both he and Melichar depict. This could be further inferred by the fact that Melichar has also been involved in film making in recent years. The paintings bear their origin in his attempt to write a script and produce a film himself. Therefore, they have a narrative dimension, though not very explicit. They are not a sequence of scenes, although they render the same kind of landscape and the same characters in them. Nevertheless, we can see them as episodes of the story being narrated, as if they were of one’s personal experiences. This is again emphasized by the dense and sketchy brushstrokes, as if they were painterly expressions of a subjective dimension. This idea of a fragmentary narration is also present in von Trier’s films and the Danish director is known for his keenness on the history of Western painting tradition. His films here mentioned have a myriad of references to painting, suggesting a second layer of reading into the narration, just like the two dimensions of Melichar’s brushstrokes that express matter and content at the same time.

In a particular scene of “Melancholia”, Justine (the main character role-played by Kirsten Dunst, and who is about to get married) comes into her father’s library, all dressed in her white wedding gown (just like a Botticelli figure), and is struck by the reproduction of abstract paintings displayed on the shelves. This upsets her, and in a frenzy action, she closes all the books, to reopen other ones with reproductions of paintings of landscapes and figures, from the Old Masters. The focus is then brought to “The Hunters in the Snow (January)” by Peter Bruegel the Elder (1565). Here Bruegel’s painting is used as a metaphor for the announcement of the imminent upheaval that the approximation of planet Melancholia, in the film, is about to bring. Although it has nothing to do with Melichar’s painterly language, the way it appears in von Trier’s film also suggest this submission of manhood into the laws of nature, much like the way Melichar’s male figure is surrendered to the female figure and nature in his paintings.

Melichar’s certainly has his own references to the history of painting. Western tradition has been built on the issue of the figure in the landscape as the funding matter of the notion of representation and naturalism. The Avant-Garde challenged this for the first time in the beginning of the 20th century, where we can locate two major currents of questioning of such idea of representation: geometrical abstraction and informal abstraction. Wilhelm Worringer, in his famous 1907 essay, “Abstraktion und Einfühlung”, would suggest that the former is based on the refusal of the natural environment or naturalism, while using pure geometrical forms (abstraction); whereas the latter is a plastic experience derived from this empathy (thus the word “Einfühlung”) with nature. Here he would situate expressionism, as an abstract-driven language whose abstraction is not a negation of nature, but the revealing of a second nature: a subjective, unconscious one, which deals with personal memory and inner experience. The love for the primitive, as we see in the works of artists such as Emil Nolde, Ernest Kirchner, Schmidt-Rottluff, on the one side, and the association of color and memory-charged images in Kandinsky, for instance, would be the basis of this renovated relationship of humans and nature. It is precisely in the work of such artists that the female figure is reinterpreted as a primitive being, belonging into nature itself, as a reference to subjectivity and unconscious dimension of human experience. This is also the case in the works of the so-called Fauves, in Paris, and one can find many examples of this association of the female nude with the landscape in paintings by Matisse and Dufy, for instance. In terms of the treatment of the surface and the layers of paint and color, Melichar seems also indebted to other masters of Modernism of his own country, such as Kokoschka, whose works also are made of dense, thick brushstrokes, almost as if fresh paint applied in lumps into the canvas. The modernist master had dealt with motifs of the primitive kind, if not with the female nude in the landscape, with the rendering of animals in large-scale canvases, as in the case of his lion now hanging at the Belvedere.

However, what actually gave impulse for Melichar to execute this new series of paintings is Viennese Actionism. In a short statement, the artist manifests the impact the images of the records of Actionists performances had on him, still as a young man, in the 1970s. Such an impression is an everlasting one, and Melichar stills recognizes Actionism as the most influential contribution to contemporary art to this very day. Despite making use of painting as a medium, Melichar has searched to engage in a rereading of the image of the female figure in Actionist context, so to speak, while inverting its role, not as a dominated figure, but as a dominant one. Let us take Otto Mühl’s work, for instance: as per the exhibition organized at Leopold Museum in 2010, Mühl had also executed large-scale paintings of male and female nudes engaging in sexual activity – see, for instance, the monumental couple depicted in red and orange flat surfaces in “Ohne Titel, 16.1.1984” (1984), shown on the occasion. These seemed to have an ironic, caricature aspect. In this sense, Melichar’s series here discussed subverts three aspects of Mühl’s oeuvre. Firstly, the Actionists in general would have always approached the female figure in a submissive role, and painting seemed very much associated to a manly craft. Though it still is a manly craft for Melichar, here the female figure dominates the male one. Contrarily to Mühl’s works, Melichar’s paintings are not caricature-like, though they can be quite ironic. However, they seem to reflect more emotions not fully dealt with, melancholy, or a deadly dimension of the relationship between the figures. Finally, one must go back to the treatment of the surface and the painterly layers set by Melichar, to understand that behind the sketchy-like appearance and apparent swiftness of these paintings, there is another tempo. They are not flat layers of paint. They are rather applied from ti me to time, one color over the other, which give their compositions a thick and glossy structure. While working on the series, Melichar has made separately landscapes with a variety of blue and green hues, and then employed in the series here. The layers of paint have a density and a transparence. In some of the paintings, we can still spot in the dark background the white color of the canvas. Moreover, Melichar builds his figures in contrast to this background of dark greens and blues, and sometimes red brushstrokes. The figures are plainly beige, with some dark thick traces that give them a dirty surface, to signalize that they have been fumbling with mud. They move slowly, these nudes, as if they were caught in the rhythm of transformation of nature itself.

On what concerns contemporary painting and its role in contemporary culture, Melichar seems to defy the rational dimension of art, operating from a very personal background, displaying the darker elements of human experience. In a way, they tackle intimacy, as in the portraits of woman painter Elizabeth Peyton, for instance. However, Melichar’s paintings deal with aggressiveness and violence, without being overtly so. Again, as per his interests in filmmaking, other contemporary artists have engaged in the relationship between painting and film, as in the case of British artist Peter Doig. The latter paints from movie stills, whereas Melichar is making film script and painting at the same time, building his episodes from his personal experience. Moreover, he has executed these paintings as a response to Viennese Actionism – translating performance into painting again.

Finally, this new series emerged from other of his works, where again the female figure (not a nude) appears as the central element of representation, in this case set indoors, in very impersonal places which contrast with some details of her own figure – her strikingly long black hair (rendered with thick layers of black paint), her punk clothing, some specific bracelet or collar, etc. That is perhaps why the female nudes now depicted do no longer bear a naiveté – as in the works of Avant-Garde artists, for instance. They are conscious of their being, and they seem to have a more conscious relation to their environment and to the male nudes they dominate. In this way, they are more like sorcerers dragging their male partner at their own wish.

Ana Magalhães
Museum of Contemporary Art of the University of São Paulo (MAC USP), Brazil

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Ferdinand Melichar – Peter Turrini

Der Ferdinand Melichar ist ein Vogel, ein auf Schwingen Daherkommender, auf einer fröhlichen und auf einer untröstlichen.

Die eine Schwinge lacht, die andere weint, aber da dies eine literarische Metapher ist und der Ferdinand Melichar zuzeiten von der Schwerkraft heimgesucht wird, ist er ein absturzgefährdeter Vogel. Wann immer ich ihn sehe- und ich sehe ihn zumeist in der Luft zehn Meter über mir- fürchte ich um ihn. Ich bewundere ihn sehr, aber manchmal habe ich ein mulmiges Gefühl bei seiner Herumfliegerei. Irgend jemand, einer, der nie einen Menschen fliegen sah, kein Gescheiter, möglicherweise sogar ein Religiöser, hat vor langer Zeit das Gebot von der Getrenntheit der Dinge aufgebracht. Er trennte den Himmel von der Erde, die Guten von den Bösen, das Schöne vom Häßlichen, die wertvollen von den wertlosen Menschen, die Gesegneten von den Verdammten. In der schreibenden Kunst trennte er die Komödie von der Tragödie, das Unterhaltungßtück vom ernsthaften Theater, die böse Farce vom gefälligen Spiel.

Im Reich der Malerei, in welchem der Vogel Ferdinand Melichar herumfliegt, schlug er besonders heftig zu: Strickt trennte er das Schöne und Edle vom Grauslichen und Abstoßenden, das Alte vom Neuen, das Realistische vom Unrealistischen, das Konkrete vom Abstrakten, kurz: Er bestimmte, was möglich war und was nicht. Das einzige Mögliche wurde das Einseitige, das Entweder- Oder. Ein solches Tun konnte ihm nur in den Sinn kommen, weil er allen Vogelmenschen ausgewichen war, besonders dem wild herumfliegenden Ferdinand Melichar, denn der ist die gelungene Widerlegung aller Einseitigkeit und Trennerei.

Ferdinand Melichar sieht mehr und fühlt mehr und malt mehr als das Eine oder Andere. Er malt die schmerzverzerrten Lippen des Jesus Christus, dem kein gütiger Gott den Mund verschließt, dem die Häscher und Quäler schrecklich weh tun und er malt die schönsten Waldviertler Weizenfelder. In seiner Kunst sind das Furchtbarste und das Schönste ganz nahe nebeneinander, nur ein paar Flügelschläge von einander entfernt.

Ich denke, dies ist die einfachste und so schwer auszuhaltende Wahrheit: Unser Leben ist so schön und so scheußlich in einem, weil wir so schön und so scheußlich in einem sind.

Sollte ein Mörder keinen Gefallen finden am Geschmack frischer Walderdbeeren?

Sollte ein Vater im Lachen seines Kindes nicht größte Glückseligkeit erleben und im nächsten Moment daran denken müßen, von welcher Todesart sein Kind heimgesucht werden könnte? Hebt die Liebe nicht in einem einzigen Moment über alles hinweg, um uns im nächsten fallen zu laßen, so schnell, daß wir noch fragend schauen und doch schon zerstört am Boden liegen? Wir sind ein Gemisch aus so vielem, unterschiedlichstem, in einen Hautsack hineingepreßt, mit einem Gesicht ausgestattet und mit einem Namen beschriftet. Aber schon das eine Gesicht hält sich nicht mehr an den einen Namen, hat zwei Seiten, Kehrseiten, Nachtseiten.

Der Maler Ferdinand Melichar ist ein besonders vielgesichtiger Vogel. Wenn er aus seiner zehnmetrigen Flughöhe herunterkommt und sich kurz neben mich setzt, schaue ich mir gerne sein Gesicht an. Es wandelt sich ununterbrochen, es durchwandert alle denkbaren und undenkbaren Empfindungen, so schnell, daß man bei dieser Wanderung als Betrachter ganz außer Atem kommt. Hat der Vogel Melichar gelacht und habe ich mich zu einem Mitlachen entschloßen, ist sein Gemüt im allernächsten Moment schon zur Melancholie weiter geflogen, ist kurz erstarrt und stehengeblieben, ist alsdann hochgestiegen und von dort mit einem lauten Lacher heruntergesprungen und mit einem schrägen Grinser zur Seite getänzelt, um daraufhin wieder in Stille zu verfallen.

Und ich, ein Nachhinkender wollte gerade zum Mitlachen ansetzen. So vieles in ihm verpackt, daß er ein dicker Vogel sein müßte und doch ein dünner ist, wahrscheinlich weil er ständig herumfliegt.

Er fliegt und fliegt und malt die allerschönsten Landschaftsbilder und das düsterste Kriegsbild, aber findet das Kriegerische nicht auch in den schönsten Gegenden statt? War in den Ardennen kein Frühling, als durch sie eine kriegerische Offensive brandete?

Liegen die Leichen der erschlagenen Bosnier nicht unter schönsten Zypreßen?

Und die zeternden und streitenden Menschen, waren sie nicht gerade in der Ruhe eines Hochamtes vereint?

Der Maler Ferdinand Melichar malt Wahres, nicht Neues oder Altes, nicht Häßliches oder Schönes, er malt den Menschen, diese vielschichtige Zwiebel im beschrifteten Hautsack.

Auf einem Melicharischen Bild schwankt eine erhängte Gestalt hin und her, ding- dong, wie ein Pendel. Der Tod ist ein Dauergenoße des Lebens, er ist immer da, er pendelt immer mit. Es heißt, daß wir dem Tod erst beim Sterben begegnen, aber daran glaube ich nicht. Er kommt schon vorher, manchmal erscheint er bereits im Kindesalter, Glücklicheren später, aber keinem von uns begegnet er beim Sterben das erste Mal. Ein bißchen oder ein bißchen mehr oder ein bißchen viel mehr hat er uns schon vorher erschreckt. Ich weiß es nicht, aber ich fürchte, den Maler Melichar hat er schon sehr früh und sehr nachhaltig erschreckt. Und ich mutmaße weiter, daß so ein Erschreckter verrückt werden kann oder zum Säufer oder Spitzensportler oder aber: Er flattert und fliegt hoch und malt und malt wie der Maler Ferdinand Melichar.

Peter Turrini
Retz, am 3. Juli 1999

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ICH IST WIR

Ferdinand Melichar erlaubt sich etwas, was die Kritik so ganz und gar nicht liebt: einen sehr persönlichen Zugang zur Kunst. Persönlich klingt gleich mal wie Hobby oder so, jedenfalls verheißt es nichts Gutes, denn “es ist schwer nachvollziehbar”. Doch indem er das tut, nimmt er einen eindeutigen, unverrückbaren Standpunkt ein. Das zeichnet ihn als eigenständige Persönlichkeit aus, darüber hinaus aber als Künstler, der frei von Einflüsterern, Ratgebern, Gutmeinern seinen Weg unbeirrt dahinmalt. Ferdinand Melichar läßt sich keine Option offen, keine Hintertür, um Kuratoren oder Kritikern zu gefallen, um den sich ständig ändernden Gesetzen des Marktes zu genügen. Man kann sagen: er ist “self-sufficient” – er genügt sich selbst. Das ist ein (hart erkämpfter) Luxus.

Melichar ist unverfroren subjektiv. Er versucht’s gleich gar nicht mit zweifelhafter Objektivität oder gespielter Offenheit. Er kann nicht mit der “es allen recht machen” Mentalität. Er macht’s sich selbst recht. Seine Bilder laßen kein Schielen und Heischen nach Applaus erkennen. Sie sind was sie sind: Ferdinands Welt. Indem er das tut, ist er ungleich politischer als viele jener die behaupten es mit ihrer Kunst zu sein. Melichar ist unmodisch, autonom, zeitlos. Seine Bilder sind ein klares Bekenntnis zum individuellen Universum. Und dieses ist in den besten Fällen, und in seinem ganz besonders, das, aller Menschen, die offenen Auges durch die Welt gehen und mit dem eigenen Kopf zu denken wagen.

Ich glaub ich hab vergeßen zu sagen, daß er wirklich gut malen kann – aber das zu beurteilen liegt allein im Auge des Betrachters.

Edgar Honetschläger
Tokyo, April 2007

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Video: Subcycle – by Ferdinand Melichar (in English)

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